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Zeitzeugengespräch mit Horst Bernard und Buchpräsentation „Die letzten Zeuginnen und Zeugen – Meine Arbeit mit Holocaust-Überlebenden“ von Birgit Mair

Am 27. April 2023 fand in der AWO Fankontaktstelle INNWURF in Kooperation mit dem Nürnberger Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung (ISFBB) e. V. sowie dem Regionalverband Saarbrücken ein Zeitzeugengespräch mit Horst Bernard in Verbindung mit der Buchpräsentation „Die letzten Zeuginnen und Zeugen – Meine Arbeit mit Holocaust-Überlebenden“ der Nürnberger Holocaust-Forscherin, Ausstellungskuratorin und Buchautorin Birgit Mair statt.

Das im Frühjahr 2023 erschienene, 384 Seiten umfassende Buch von Birgit Mair beinhaltet neben den Biographien von 14 Holocaust-Überlebenden auch die Lebensgeschichte des Saarländers Horst Bernard.

Nach der Buchpräsentation durch Frau Mair und einer Darstellung weiterer Kurzporträts von Menschen, die den Holocaust überlebten und in dem Buch porträtiert sind, berichtete Horst Bernard von seinen Erlebnissen und seinem Überleben während der Nazizeit. 

Horst Bernard wurde 1932 in Bischmisheim bei Saarbrücken als Kind eines jüdischen Vaters und einer nichtjüdischen Mutter geboren. Er überlebte mit Hilfe der Résistance in Frankreich den Holocaust. Die Eltern waren schon früh aktiv im Widerstand gegen die Nazis. Sie flohen nach der Saarabstimmung 1935 nach Agen. Nachdem Südfrankreich im Jahre 1942 von den Deutschen besetzt wurde, musste der Vater in die Illegalität untertauchen. Horst Bernard lebte bei einem alten französischen Ehepaar, welches mit der Résistance sympathisierte. Der Junge konnte seinen Vater nur einmal in der Woche sehen, sie hatten verabredet, sich immer um 11 Uhr auf dem Boulevard zu begegnen und zuzunicken, jeder aus einer anderen Richtung kommend. Diese Erinnerungen an das Alleinsein, die Sorge des Jungen, der Vater könnte zur vereinbarten Zeit nicht da sein, sind besonders schmerzhafte Erfahrungen, die Horst Bernard ein Leben lang prägen und belasten. 

Beeindruckend ist die Offenheit und Präsenz von Horst Bernard, sein Bekenntnis zu Pazifismus und den Kampf gegen Neonazis, den er auch nach der Zeit des Krieges weiter führt. Er steht dabei in der Tradition seiner Eltern, die ihn prägten durch ihren aktiven Widerstand gegen Hitler. So war er viele Jahre Vorsitzender des Landesverbandes Saar der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.“ Seit einigen Jahren ist er Ehrenvorsitzender der VVN. 

Die Autorin Birgit Mair

Das Projekt „Die letzten Zeuginnen und Zeugen“ wird von Birgit Mair geleitet, die seit 2005 mehr als dreihundert Zeitzeugengespräche mit Holocaust-Überlebenden durchgeführt hat. Sie führt durch die Veranstaltung, bettet die Erzählungen der Zeitzeug:innen in den historischen Kontext ein und präsentiert Bilder, Dokumente und ggfs. auch Filmausschnitte aus deren Leben. Im Anschluss an die Veranstaltung kümmert sie sich um die Betreuung der Zeitzeugen.

Das 384 Seiten umfassende Buch berührt und informiert gleichermaßen. Die Autorin portraitiert darin vierzehn Menschen, die die nationalsozialistischen Verfolgungen als Kinder oder Jugendliche nur mit viel Glück überlebten. Birgit Mair hat mit den Überlebenden ausführliche Gespräche geführt und mit einigen von ihnen jahrelang an Schulen und in der Erwachsenenbildung gearbeitet. Mehr als vierhundert Zeitzeugengespräche wurden mittlerweile durchgeführt. Neben den Kurzportraits der vierzehn Holocaust-Überlebenden informiert das Buch unter anderem über den Kampf der Überlebenden um Entschädigung für das erlittene Unrecht sowie über weitere Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen in der Nachkriegszeit. Dokumentiert werden jedoch auch Momente der Selbstermächtigung: Solidarisches Engagement in Überlebenden-Verbänden, Kampf gegen Neonazis und nicht zuletzt die wichtige Arbeit als Zeitzeuge oder Zeitzeugin. Das Besondere an dem Buch sind die vielen Dokumente und Fotos aus privaten Familienalben, die die Holocaust-Überlebenden bzw. ihre Angehörigen der Autorin zur Verfügung stellten. Acht der im Buch portraitierten Zeuginnen und Zeugen des NS-Terrors leben noch und haben aktiv an der Erstellung des Werkes mitgearbeitet.

Portraitiert werden bekannte Persönlichkeiten wie die engagierte Antifaschistin und Musikerin Esther Bejarano (1924-2021) sowie die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch (90). Frau Bejarano überlebte als junge Frau unter anderem das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, Frau Knobloch als Kind mit falscher Identität im fränkischen Dorf Arberg. Die ehemalige Europaabgeordnete Lilo Seibel-Emmerling (91), heute Nürnbergerin, überlebte unter schwierigsten Bedingungen in Berlin. Ernst Grube (90) überlebte das NS-Lager Theresienstadt, Eva Rößner (1926-2020) überlebte als Kind eines jüdischen Vaters in Nürnberg, der damaligen Stadt der NSDAP-Reichsparteitage. Peggy Parnass (95) wurde durch ihre kritischen Gerichtsreportagen bekannt. Sie überlebte durch einen Kindertransport nach Schweden. Birgit Mair interviewte sie im letzten Jahr mehrfach in ihrer jetzigen Heimatstadt Hamburg. Die Recherchen für das Buch führten die Holocaust-Forscherin auch in die Niederlande, wo die jüdische Überlebende des KZ Westerbork, Eva Weyl (87), wohnt, sowie ins Saarland, wo Mair den mittlerweile 90-jährigen Horst Bernard traf, dessen Eltern bis 1945 in der französischen Résistance aktiv waren. Mit der Biografie der Nürnbergerin Klara Gorlatschowa (84) wird das Schicksal einer jüdischen Familie nachgezeichnet, die den Naziterror in den besetzten Teilen der Sowjetunion erleiden musste. Mit Franz Rosenbach (1927-2012) und Eva Franz (82) kommen weitere Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau zu Wort. Die beiden Letztgenannten wurden als Sinti verfolgt, ebenso der 2021 verstorbene Siegfried Heilig, der mit seiner Familie im Wald überlebte, unterstützt durch hilfreiche Menschen. Das Schicksal von Josef Jakubowicz (1925-2013), über den Birgit Mair vor mehr als zwanzig Jahren ihre Diplomarbeit schrieb, wird ebenso beleuchtet wie das Leben von Fritz Pilz (1928-2020) aus Lauf an der Pegnitz, der als Kind einer jüdischen Mutter Zwangsarbeit leisten musste.

Das Buch ist für 20,00 € zzgl. 5 Euro Porto beim Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung (ISFBB) e. V. bestellbar.

Weitere Informationen unter: www.die-letzten-zeugen.de

Fotos Portrait Horst Bernard und Buchcover: Birgit Mair, ISFBB e. V.